Über Nicholas Bodde

Corona Unger

Die Sensibilität der Farbe

„Traurige oder heitere Empfindungen, ruhige oder bewegte Stimmungen werden nicht nur durch die Virtuosität der Pinselführung ausgedrückt, sondern durch die Verbindung von Linien, Farben und Tönen – je ein Element, das dieselbe Rolle spielt wie die Note in einer Symphonie.“ (Georges Seurat)

Nicholas Boddes künstlerisches Konzept, das er seit Jahren konsequent verfolgt und weiterentwickelt, steht in der Tradition der konstruktiven Kunst. Er malt in festgelegten geometrischen Formaten auf Aluminiumgrund. Dieser glatte, strukturlose Bildgrund entspricht in idealer Weise seiner sich flächig entfaltenden Farbmalerei. Dank der geringen Materialstärke scheinen die Werke – hinterfangen von einer schmalen Schattenzone – vor der Wand zu schweben. Horizontale Flächen in verschiedener Stärke – als zarte Bänder, schmale Streifen oder großzügige Felder – strukturieren die weit in den Raum ausstrahlenden Bilder.

Nicholas Bodde entwickelt in jedem seiner Gemälde ein weites Farbspektrum, dessen reiche Palette reine Farbtöne und nuancenreiche Mischungen umfasst. Manche kehren in seinem Oeuvre wieder, doch wiederholen sie sich nie in ein und derselben Arbeit. Helle und dunkle Farben, satte, pulsierende und durchscheinende – leuchtende Farben stoßen in seiner Malerei direkt aneinander. Trotz ihrer geometrischen Merkmale unterscheidet sie sich von den klassischen Vertretern der konstruktiven und konkreten Kunst, die jeweils geplante, im Vorfeld vollständig konzipierte Bilder umsetzten und das Malerische zurücktreten ließen zugunsten eines automatisierten und dadurch eher kühl-kalkuliert wirkenden Farbauftrags – wie es beispielsweise die Werke von Max Bill oder Richard Paul Lohse demonstrieren. Nicholas Bodde wählt Farbtöne und Valeurs während des Malprozesses intuitiv und frei. Für ihn ist Farbe mehr als ein künstlerisches Mittel. Sie ist ein zentrales Thema seines Konzepts.

Während die konstruktive Kunsttradition Symbolik und den Ausdruck subjektiver Gefühle vermeidet, wecken die Arbeiten von Nicholas Bodde vielfältige Assoziationen der Sinne. In einer Melange aus den klassischen Grundprinzipien und einer überbordender Lust, dieses Formen- und Farbenvokabular spielerisch, ja sinnlich anzuwenden, widmet er sich dem Thema komplexer Farbklänge im Sinne Gauguins / der beginnenden Moderne:

„Die reine Farbe, ihr muß man alles opfern. – Die Farbe als solche ist rätselhaft in den Empfindungen, die sie in uns erregt. So muß man sie auch auf rätselhafte Weise gebrauchen, wenn man sich ihrer bedient, um der musikalischen Wirkungen willen, die von ihr ausgehen, von ihrer eigenen Natur, von ihrer inneren, mysteriösen, rätselhaften Kraft.“ (Paul Gauguin)

Nicholas Boddes Malerei ist präzise, ohne den Malprozess zu verleugnen. Einerseits treffen innerhalb seiner Bilder verschiedene Farbarten wie Acryl, Öl, matte und hochglänzende Lacke aufeinander. Außerdem erreicht der Künstler durch einen frei variierten Farbauftrag innerhalb der einzelnen Felder das, was er selbst eine „Emotionalisierung der Geometrie“ nennt. Dabei versucht er, das Strategische der konstruktiven Kunst mit dem freien Pinselstrich eines Willem de Kooning oder Marc Rothko zu vereinigen. Auch und gerade über die Verortung des Betrachters geschieht die facettenreiche Rezeption der Bilder. Je näher er tritt, desto offensichtlicher wird der Duktus innerhalb der einzelnen Felder. Über die verschiedene Behandlung der Oberflächen erhält jeder Streifen in der Nahsicht eine zusätzliche, sinnliche Dimension. Es lassen sich überraschende Höhen und Tiefen entdecken – Farbränder, Pigment-Partikel und kleine Grate, über die das Licht wandert. Manche Flächen absorbieren das Licht über vibrierende, raue Oberflächen, andere glänzen und laden das Licht zu verführerischen Reflexen ein, die den umgebenden Raum und damit die Realität außerhalb der Werke in die Bildaussage einbeziehen.

Im Rhythmus des Farbklangs
„Der Maler, von Kontrast zu Kontrast weitergehend, füllt er seine Leinwand. Er spielt mit der Skala seiner Farben, wie der Komponist bei der Orchestrierung einer Symphonie die verschiedenen Instrumente behandelt. Nach seinem Ermessen mäßigt er den Rhythmus und den Takt, stimmt ein Element herab oder steigert es, moduliert eine andere Nuance bis ins Unendliche, ganz der Freude hingegeben, Spiel und Kampf der sieben prismatischen Farben zu lenken, wird er dem Musiker gleich, der die sieben Noten der Tonleiter variiert, um die Melodie zu erzeugen.“ (Georges Seurat)

Zum Charakter der Farbe gehört ihre Wandelbarkeit. Beleuchtung, Hintergrund und andere umgebende Faktoren beeinflussen die Farbwahrnehmung. Zudem verändern Einzelfarben ihre Intensität, je nachdem mit welchen anderen Tönen sie zusammengestellt werden. Es gibt Farbpaare, die sich gegenseitig anziehen und andere, die sich optisch abstoßen. Sie verstärken oder mildern einander – sie klingen miteinander. Nicholas Bodde spielt mit vielfältigen, oft komplementären Farbklängen wie auf einer Klaviatur. Für seine Farbfeldarbeiten wählt er starke Kontraste und zarte Pastellfolgen. Er experimentiert und übermalt, wobei bereits eine schmale Linie im Zusammenwirken mit den übrigen Farbflächen eines Bildes die Wirkung des gesamten Werks verändern kann. So entstehen keine hermetischen Farbtafeln, sondern Farbrhythmen, Dissonanzen und Harmonien, die Dynamik im Bild produzieren und eine Ausgewogenheit der Farbtöne innerhalb der Komposition erreichen.

„Der Eindruck aber, der aus der einfachen Verteilung der Farben, Lichter und Schatten hervorgeht, das ist die Musik des Bildes. Bevor man überhaupt weiß, was das Bild darstellt, ist man doch sofort ergriffen von dem magischen Akkord seiner Farben. Jene Ergriffenheit trifft den innersten Teil der Seele.“ (Paul Gauguin)

Bemerkenswert ist auch Nicholas Boddes Formenkanon, der geometrischen sowie architektonischen Maßgaben folgt, und seinerseits die jeweilige Bildwirkung beeinflusst: Querformate erscheinen weit ausstrahlend, Hochformate entfalten sich voll aufstrebender Energie, ovale Bildwerke wirken besonders dynamisch, Kreise hingegen konzentriert und zugleich schwerelos. V. a. an den Bildrändern der geschwungenen Formate, wo parallele Bänder und Farbhorizonte vom Bildrand beschnitten werden, entsteht eine spannungsreiche Farb- und Formdynamik. Wenn Nicholas Bodde in einer Ausstellung oder Installation die klassisch gereihte Präsentation verlässt und eine ungewohnte Blickachse wählt, „umkreisen“ sich Werke von verschiedenem Durchmesser wie Planeten.

Eine ganz eigene Rhythmisierung der Flächen besitzen die Papierarbeiten des Künstlers. Neben den Öl- und Acrylfarben seiner Gemälde kommen in diesen kleinformatigen Werken auch Aquarell und Gouache zum Einsatz, was ihre Zartheit und divergierende Farbwerte bedingt. Der oft deutliche Pinselduktus und der z. T. durchscheinende Papiergrund sind Charakteristika dieser Werke, ebenso wie die vorderseitige Signatur des Künstlers.

Einen Raumeindruck innerhalb der ebenen Farbfelder erzielt Nicholas Bodde in seiner dynamischen Werkgruppe. Mit perspektivischen Verjüngungen lotet er dabei die Tiefendimensionen der Bilder aus. Hier baut sich auf unterschiedlichen Ebenen schrittweise ein räumliches Gefüge auf, dessen Linienformationen sich zudem visuell beschleunigen. So springt der Blick zwischen Farbflächen und Linienrastern hin und her – mal drängt sich eine Farbe in den Vordergrund, um im nächsten Moment das Auge an eine andere Stelle der Komposition zu katapultieren. Diese räumlich- zeitliche Zuspitzung ist neu in Nicholas Boddes Malerei.

Eine weitere aktuelle Entwicklung bilden frei stehende, schlank aufgerichtete Farbstelen. Ausgehend von seinen besonders schmalen Gemälden, den sog. „Slim Verticals“, hat Nicholas Bodde nun körperhafte Objekte entwickelt, die seine Farbflächen um eine dritte Dimension erweitern und desweiteren eine, über die Positionierung an der Wand hinausweisende, Perspektive eröffnen. Sie setzen einen plastischen Akzent im Oeuvre des Künstlers. Ihre lackierten, sich ebenfalls auf Aluminiumgrund entfaltenden Oberflächen ermöglichen eine Positionierung dieser Bildobjekte im Außenraum – wie eine Farbstele von drei Metern Höhe vor dem Galeriehaus in Bremen zeigt, die als Entree den Eingangsbereich flankiert. Ihre glänzenden Flächen verbinden das Werk mit der historischen Architektur, indem sich in einzelnen Farbfeldern architektonische Details des Hauses widerspiegeln. Dabei verschmelzen die Eigenfarben der Stele und ihre Umgebung zu neuen Farb- und Formstrukturen. Veränderungen des Tageslichts bringen die Farben zum Leuchten, Reflexe und Schatten tanzen über die Oberflächen – eine Kunstbetrachtung im Vorübergehen wird möglich, die die Trennung von Kunst und Alltag vergessen lässt.

Zusammenfassung / conductio
Nicholas Boddes Arbeit steht den konstruktiven Malern nahe, die immer auch im Bereich der Farbfeldmalerei tätig waren, wie z. B. Josef Albers und seine „Hommage an das Quadrat“, der trotz seines formal sehr eng gesteckten Konzepts sowohl malerisch als auch farblich zu immer wieder neuen, künstlerischen Ergebnissen kam. Nicholas Bodde hat sich der Farbe verschrieben, die er um ihrer selbst willen feiert. Über seine polychromen Bildflächen strebt die reine Farbe, kanalisiert in systematisch aufgebauten Schichten und klar gegliederten Streifen. Mit virtuos behandelten Oberflächen und farbigen Modulationen sensibilisiert der Künstler die Sinne und verlockt das Auge, sich komplexen Farbklängen hinzugeben – sowie dem matten Glanz des Acryls, der sinnliche Dichte der Ölfarbe, ihrem Leuchten, ihrer Strahlkraft und im Besonderen auf Papier zusätzlich der Transparenz des Aquarells.